Forensische Nacht: „Wie geht Sterben eigentlich wirklich?“
Die Forensische Nacht 2024 des Rotary Clubs Düsseldorf Kaiserswerth wirft am Institut für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Düsseldorf (UKD) einen Blick auf die Realität hinter den Krimi-Serien
Der Hörsaal 3A auf dem Campus der Heinrich-Heine-Universität ist bis auf den letzten der 600 Plätze besetzt, als Prof. Dr. Stefanie Ritz, Institutsdirektorin des UKD-Instituts für Rechtsmedizin und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, um 19 Uhr die Forensische Nacht 2024 eröffnet. Über drei Stunden später klingt das Bühnenprogramm musikalisch aus. Das Veranstaltungsformat der Uniklinik fesselt in jedem Jahr aufs Neue, der einladende Rotary Club Düsseldorf Kaiserswerth denkt erstmals darüber nach, künftig mehr als nur eine Forensische Nacht anzubieten.
Die Rechtsmedizinerinnen Prof. Dr. Stefanie Ritz und Dr. Britta Gahr präsentierten gemeinsam mit den Kriminalhauptkommissaren Torben Konrad und Maikel Stiefel ein ambitioniertes Programm, das exklusive Einblicke in die Arbeit führender Forensiker und Kriminalbeamter in NRW bietet. Dafür braucht es Fingerspitzengefühl, die richtige Prise Humor, hin und wieder ein Augenzwinkern, um dem Publikum leichtfüßig den Weg durch schweres Terrain zu weisen. Denn klar ist: Hier geht es insbesondere auch ums Sterben, den unfreiwilligen, den ungeklärten Tod. Zwischendurch immer wieder Trigger-Warnungen für jene Gäste, die beim ein oder anderen Foto und Filmausschnitt lieber den Blick abwenden möchten. Stefanie Ritz: „Mit der Forensischen Nacht wollen wir auf kurzweilige Art informieren, aufklären, sensibilisieren und zum Nachdenken anregen. Das ist eine Gratwanderung in einer Zeit, in der reißerische True Crime Formate Hochkonjunktur haben und Opfer von Gewalt manchmal aus purem Geschäftssinn zum zweiten Mal zu Opfern werden, von diesen Formaten distanzieren wir uns klar.“
Kriminalhauptkommisar Konrad erläutert die Arbeit der Identifizierungskommission des Bundeskriminalamts, erinnert an ihren bislang bekanntesten Einsatz im Tsunami-Gebiet Südostasiens im Jahr 2004, als über 230.000 Menschen ihr Leben verloren, darunter 552 Deutsche. 538 von ihnen konnten identifiziert werden, zu 85 Prozent aufgrund ihres Zahnstatus. DNA-Tests, an die der Laie hier als erstes denken würde, waren nur in 2 Prozent der Fälle hilfreich, weil die Bedingungen im Katastrophengebiet die notwendigen Aufschlüsselungen und Abgleiche vor Ort nicht zuließen. 14 der deutschen Touristen von damals gelten auch heute noch als vermisst.
Und wenn hier, vor der Haustür, Menschen verschwinden? Dann greift nicht das gängige Tatortprinzip, stellt Konrad klar. Zuständig ist die Dienststelle am Wohnort des Verschwundenen. Führen die Ermittlungen dort, im Umfeld, bei Krankentransporten und Taxigesellschaften zu keinem Ergebnis, zieht die Kripo alle Register: Hunde kommen zum Einsatz, Hubschrauber, Hundertschaften, Taucher – die öffentliche Fahndung jedoch nur als Mittel der letzten Wahl, um die Privatsphäre des Vermissten zu schützen. Torben Konrad betont aber auch: „Wer verschwinden will, verschwindet. Unser Einsatz auf der Suche nach einer erwachsenen Person ist abgeschlossen, wenn wir feststellen, dass es ihr gut geht. Ohne Gefahr und gegen ihren Willen werden wir Aufenthaltsorte nicht preisgeben und niemanden zurückführen.“
Kriminalhauptkommissar Maikel Stiefel stellt den Gästen der Forensischen Nacht einen besonderen Kollegen vor, einen 3D-Detektiv auf 4 Pfoten. Der Roboterhund der Polizei beeindruckt das Auditorium sichtlich: Mit der Steuerung seines „Herrchens“ findet er seinen Weg treppauf und treppab quer durch den Hörsaal, erkennt Hindernisse und hält das Gleichgewicht auch gegen Widerstände. 250.000 Euro hat die Polizei in ihn investiert. Ein Betrag, so Stiefel, der in keinem Verhältnis zur Rettung von Menschenleben stehe. Der Roboterhund „Spot“ kommt immer dann zum Einsatz, wenn man Vermisste in einsturzgefährdeten Gebäuden oder Sprengstoff auf schwer zugänglichem Gelände vermutet werden. Er ist mit einem 3D-Laserscan und einer 360-Grad-Panoramakamera ausgestattet. Damit versorgt er seine Kripo-Kollegen aus Fleisch und Blut mit wertvollen Informationen. Seine Einsätze, so Stiefel, sucht man in Krimi-Serien bisher leider vergeblich.
Umso mehr geht es auf den Bildschirmen regelmäßig um die Fragen, wie sich Tod und Todeszeitpunkt von Menschen feststellen lassen. Professor Börne, fiktiver Rechtsmediziner im Tatort Münster, kommt dabei denkbar schlecht weg. Wenn er nach einem Blick in die Augen einer am Boden liegenden, vermeintlichen verstorbenen Person „noch keine 10 Minuten tot“ urteilt, sind Stefanie Ritz und Britta Gahr froh, dass er in Münster und nicht in ihrem Institut arbeitet. Sie erläutern anschaulich „wie Sterben eigentlich geht“ und warum „Scheintote“ mitunter vorkommen: Menschen können wie tot wirken, ohne tot zu sein. Lichtstarre Pupillen etwa oder fehlende Reflexe, kein merkbarer Herzschlug, keine erkennbare Atmung sind nur unsichere Todeszeichen. Erst wenn sichere Leichenerscheinungen auftreten - Totenflecke frühestens 20 Minuten, die Totenstarre frühestens eine Stunde nach Todeseintritt, kann der Tod sicher festgestellt werden Vorher muss reanimiert werden, dann zählt jede Sekunde. Zur Berechnung des Todeszeitpunkts zieht die Forensik eine Kombination verschiedener Verfahren heran, dabei werden u.a. auch die Körpertemperatur und die Erregbarkeit mimischer Muskulatur gemessen.
Zum Abschluss haben Stefanie Ritz und Britta Gahr handfeste Tipps für ihr Publikum. Sowohl humoristisch verpackt - „Wie Sie es am leichtesten schaffen, uns im Liegen zu besuchen“, als auch sehr unmittelbar, denn die beiden Ärztinnen kämpfen dafür, dass gewaltbetroffene Menschen in NRW bestmöglich versorgt werden. „Was machen Sie, wenn Sie Opfer einer Gewalttat geworden sind?“ Die Checkliste von Ritz und Gahr ist kurz, aber sie hat es in sich: „Nicht duschen, nicht waschen, nicht auf Toilette gehen. Kleidung mit möglichen Täterspuren in eine Papiertüte packen. Schnellstmöglich in Begleitung ein Krankenhaus aufsuchen und sich darüber klarwerden, ob und wann die Polizei hinzugezogen werden soll.“
„Konnten Sie nicht richtige Ärztin werden?“ – diese Frage, die Stefanie Ritz immer wieder einmal hört, wird von den Gästen der Forensischen Nacht niemand stellen. Der Abend im Hörsaal 3A hat alle tief beeindruckt und deutlich gemacht: Die Rechtsmedizin ist der letzte ärztliche Dienst an verstorbenen Menschen – indem sie aufklärt, was mit ihnen geschah. Und: Die Rechtsmedizin sichert und dokumentiert Täterspuren an gewaltbetroffenen, lebenden Menschen, nicht zuletzt auch als integraler Teil des Kinderschutzes. Mehr „richtige Ärztin“ geht nicht.
Die Forensische Nacht
Die Forensische Nacht ist zur festen Größe im Veranstaltungskalender der Landeshauptstadt geworden. Seit 2009 lädt der Rotary Club Düsseldorf Kaiserpfalz gemeinsam mit dem Institut für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum Düsseldorf zu einem Blick hinter die Kulissen von Forensikern und Kriminalisten. Die Erlöse der Benefizveranstaltung fließen in ein Kinderschutzprojekt der Frauenberatungsstelle Düsseldorf: „Extra für Kinder“. In diesem Jahr haben sich die Düsseldorfer Künstler Mina und Purple Dove in den Dienst der Sache gestellt und die Veranstaltung musikalisch begleitet.
„Extra für Kinder“
Kinder, die in ihrer Familie Gewalt erleben müssen, sind davon immer unmittelbar betroffen. Auch wenn sie selbst nicht misshandelt werden, kann sie das Erleben von Gewalt unter ihren Bezugspersonen traumatisieren, sie in ihrer Entwicklung beeinträchtigen und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, später selbst einmal Opfer oder Täter zu werden. Das Projekt „Extra für Kinder“ bietet die Möglichkeit, rechtzeitig zu intervenieren: Während der Beratung der Bezugsperson steht in der Frauenberatungsstelle Düsseldorf eine kinderpsychologisch und pädagogisch ausgebildete Fachkraft „extra für die Kinder“ zur Verfügung, um etwaige Therapiebedarfe frühzeitig zu erkennen.
Pressekontakt
Institut für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum Düsseldorf
Stefanie.Ritz@med.uni-duesseldorf.de
Rotary Club Düsseldorf Kaiserpfalz
c/o Claudia Finke
claudia.finke@freenet.de
Mobil: 0170.2726975
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Zum Universitätsklinikum Düsseldorf:
Das Universitätsklinikum Düsseldorf (UKD) ist das größte Krankenhaus in der Landeshauptstadt und eines der wichtigsten medizinischen Zentren in NRW. Die 9.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in UKD und Tochterfirmen setzen sich dafür ein, dass jährlich über 50.000 Patientinnen und Patienten stationär behandelt und 300.000 ambulant versorgt werden können.
Das UKD steht für internationale Spitzenleistungen in Krankenversorgung, Forschung und Lehre, sowie für innovative und sichere Diagnostik, Therapie und Prävention. Patientinnen und Patienten profitieren von der intensiven interdisziplinären Zusammenarbeit der 60 Kliniken und Institute. Die besondere Stärke der Uniklinik ist die enge Verzahnung von Klinik und Forschung zur sicheren Anwendung neuer Methoden.
Am UKD entsteht die Medizin von morgen. Jeden Tag.