Gemeinsam das Erlebte verarbeiten: Therapeutisches Angebot in der Kinder- und Jugendonkologie am UKD für Eltern von geheilten Kindern
„Ich hatte komplett vergessen wie es sich anfühlt, einen ganz normalen Alltag zu haben“, „Ich musste erst einmal wieder lernen loszulassen und mich auf mich selber zu konzentrieren“ oder sogar „Euer Sohn ist ja jetzt wieder gesund. Zeit, dass hier wieder alles normal wird!“ Es sind Sätze wie diese, die Eltern von Kindern und Jugendlichen, die eine Krebserkrankung durchgemacht haben, immer wieder erleben: Das Schlimmste ist durchstanden, der Krebs ist besiegt und nach einer langen Zeit der Unsicherheit und Ängsten, möchten viele mit der Erkrankung abschließen und zur Normalität zurückfinden. Viele Familien brauchen aber Zeit und Unterstützung, um das Erlebte zu verarbeiten.
Über Wochen und Monate war das komplette Familienleben dominiert und kontrolliert von Arztterminen, Krankenhausaufenthalten und den Bedürfnissen des Kindes. Nun muss man sich wieder im Alltag zurechtfinden. Häufig schwindet zudem im Umfeld oder auch am Arbeitsplatz irgendwann die Akzeptanz für die immer noch herrschende Ausnahmesituation.
Um diese Familien auch – über die reine medizinische Nachversorgung der Kinder und Jugendlichen hinaus – unterstützen zu können, gibt es an der Klinik für Kinder-Onkologie, -Hämatologie und Klinische Immunologie (Direktor: Prof. Dr. Arndt Borkhardt) am Universitätsklinikum Düsseldorf (UKD) ein spezielles Angebot des Psychosozialen Dienstes, das sich explizit an die Eltern von Kindern richtet, die ihre Krebserkrankung überstanden haben.
Von der Ausnahmesituation der Krebserkrankung des eigenen Kindes wieder zurück ins vorherige Leben? Das geht nicht einfach mal eben!
„In dieser Zeit bist du unglaublich gefordert – insbesondere am Anfang nach der Diagnose, da passieren die Dinge quasi non-stopp. Man hat gefühlt kaum Zeit, richtig Luft zu holen. Über so eine lange Zeit muss man einfach funktionieren und stark sein“, erinnert sich Verena. Bei ihrer heute dreizehnjährigen Tochter wurde vor einiger Zeit eine Krebserkrankung diagnostiziert. Sie hat die Erkrankung besiegt und ist heute krebsfrei. Aber mehr als ein halbes Jahr bestand das Leben der Familie aus Krankenhaus- und Arztbesuchen.
„Man ist auch intensiv mit seinem Kind verbunden und verbringt ja beinahe die gesamte Zeit miteinander“, erinnert sie sich heute. „Nichts ist mehr, wie man es kannte. Das ganze Leben wird dominiert von der Krankheit und ein Familienleben, wie man es kannte, ist erst einmal weg. Das Berufsleben pausierte, die bisherigen Beziehungen – zum Beispiel mit Freunden oder Familienmitgliedern – änderten sich zwangsläufig. Mir fiel es am Anfang unglaublich schwer, nach der Therapie wieder loszulassen. Meine Tochter wieder ihre eigenen Entscheidungen treffen zu lassen. Das fing schon damit an, sie wieder alleine mit dem Fahrrad zur Schule fahren zu lassen. Oder sie nicht andauernd zu fragen, wie es ihr gehe. Wenn es ihr mal nicht gut ging und sie zum Beispiel einen einfachen Schnupfen hatte, wurde ich natürlich nervös. Sie nervte das ein bisschen und ich konnte das gut verstehen. Ich wollte ihr ja auch nicht das Gefühl geben, sie zu bewachen. Es sind wirklich sehr kleine Schritte, die ich gehen musste.“
Verena ist dankbar: Die Menschen in ihrem Umfeld hatten auf die Situation Rücksicht genommen und für Vieles Verständnis gezeigt – vom Arbeitgeber und den Kolleginnen und Kollegen, über Familie, bis hin zum Freundeskreis, der sie monatelang nicht wirklich gesehen hatte. „Dennoch wusste ich nicht so richtig, mit wem ich über meine Gefühle sprechen kann. Teilweise war ich mir nicht sicher, ob man mich verstehen würde. Und insbesondere mit Familie wollte ich häufig nicht sprechen: Meine Eltern waren zum Beispiel schon weit über 80 und machten sich ja eh schon Sorgen um ihr Enkelkind. Da wollte ich sie nicht auch noch mit meinen Emotionen belasten.“
Was ist mit denen, deren Behandlung abgeschlossen ist? Psychosoziale Versorgung für Eltern von Kindern mit einer abgeschlossenen Krebserkrankung
Geschichten wie von Verena hören Lisanne Göbel, psychologische Psychotherapeutin, und PD Dr. Prasad Thomas Oommen, Oberarzt und ärztlicher Leiter des Psychosozialen Diensts der Kinder-Onkologie, in ihrer täglichen Arbeit in der in der Kinder- und Jugendonkologie an der Uniklinik Düsseldorf regelmäßig. Gemeinsam haben die Psychologin und der ärztliche Psychotherapeut ein Angebot gestartet, dass sich explizit an die Eltern von ehemaligen Patientinnen und Patienten richtet. In Gruppen von sechs bis 10 Personen treffen sie sich über mehrere Wochen hinweg. Die angesprochenen Themen sind dabei vielfältig: Sie reichen von Rezidivangst – also der Angst, dass der Krebs zurückkommt – bis hin zu ganz persönlichen Themen rund um die eigene Beziehung.
„Wir haben bei uns an der Klinik ein breites Spektrum an psycho-sozialen Angeboten, die sich insbesondere an unsere stationären Kinder und Jugendliche sowie ihre Familien richten. Dazu gehört zum Beispiel auch die psychologische Unterstützung der Geschwisterkinder“, erklärt Lisanne Göbel. „Wir haben uns aber gefragt: Was ist mit denen, deren Behandlung abgeschlossen ist? Wie können wir Familien über die reine medizinische Nachsorge hinaus unterstützen. Aus diesem Gedanken heraus ist das Angebot entstanden.“
Ihr ist wichtig zu betonen, dass es sich dabei nicht um eine Selbsthilfegruppe, sondern um ein fachtherapeutisches Angebot handelt, das direkt an die klinische Versorgung angegliedert ist: „Die Familien haben die letzten Jahre nur funktioniert, weil sie keine andere Wahl hatten. Wenn man dann plötzlich wieder in seinem vermeintlich normalen Leben ankommt, kann schon eine beachtliche Zeit vergehen, bis man merkt oder sich auch eingesteht, dass man psychologische Hilfe benötigt. Und dann auch noch einmal, bis man einen Platz gefunden hat. Der externe Psychologe, bzw. die externe Psychologin fängt dann ja auch erst einmal bei null an und muss die Personen und ihre Geschichte noch kennenlernen. Wir sind hingehen Personen, die sie bereits aus der Behandlung kennen und die mit dem Erlebten bereits vertraut sind. Wir können direkt ansetzen. Wir sind ja auch nicht bindend: Wenn jemand merkt, dass das Angebot nichts für ihn ist, kann er sich auch wieder zurückziehen und ausklinken.“
Nach Ende der Gruppengespräche kann dann bei Bedarf und Wunsch eine externe Betreuung durch Psychologinnen und Psychologen ansetzen.
„Als wenn man hinter der Ziellinie eines Marathons einfach liegenbleibt“: Der schwierige Weg zur Normalität
‚Das fühlt sich an, als wenn man bei einem Marathon endlich das Ziel erreicht, dann aber hinter der Ziellinie einfach liegenbleibt.‘ Für Prasad Oommen war besonders ein Zitat eines Vaters in einer der ersten Gruppen besonders symbolisch für die Situation der Familien: „Monatelang hat man nur darauf hingefiebert, dass das Kind wieder gesund wird und hat dabei seine eigenen Bedürfnisse meist komplett in den Hintergrund gestellt. Nach der Euphorie dieses Momentes kommt dann häufig auch ein Loch mit der Frage: Wie geht es denn jetzt weiter? Wie kann ich mir denn jetzt auch wieder etwas Gutes tun, ohne mich vielleicht schuldig zu fühlen? Viele Familien erzählen uns eben davon, dass das Verständnis im Umfeld schnell schwindet und selbst die verständnisvollsten Angehörigen oder Kollegen irgendwann sagen: ‚Jetzt ist es doch mal langsam gut, es ist doch zum Glück alles gut gegangen!‘ Und natürlich ist auch der Umgang mit der Sorge vor einem Rückfall der Erkrankung ein ständiger Begleiter, dem man beim Wiedereintritt in diese neue Phase, seinen Platz zuweisen muss.“
„Wir sind so cool! Wir haben schon so viel geschafft! Dieses Gefühl ist einfach unbeschreiblich!“
Verena hat es geholfen, dass sie in der Gruppe offen reden konnte: „Ich war schon überrascht, wie schnell wir uns alle geöffnet haben und eine vertraute Ebene hatten – und das obwohl unsere Erfahrungen und auch das Alter unserer Kinder sehr unterschiedlich waren. Ich fand es sehr angenehm zu wissen, dass uns hier Fachleute aus der Klinik begleitet haben, die einem ja aus der Therapie vertraut waren. Das hat mir auch bei der Kehrseite des Angebots geholfen: Man hört die Geschichten der anderen und das kann sicherlich auch belasten. Aber durch die offene und auch professionelle Kommunikation hat mir das alles sehr geholfen. Ich konnte wirklich über alles reden.“
Heute sagt sie, dass die Gruppensitzungen sie natürlich auch manchmal an ihre Grenzen gebracht haben, aber in den Gesprächen häufig das gegenseitige Mut-Machen zentral war. Man konnte gemeinsam mit anderen Betroffen besprechen, wie man wieder in den alten/neuen Alltag finden kann, welche Meilensteine die Kinder und Jugendlichen erreicht haben, aber auch welche Rechte man als Eltern zum Beispiel gegenüber der Schule hat oder das gegenseitige Versichern, dass das Empfundene komplett normal sei.
„Wenn dein Kind so schwer erkrankt, dann macht das etwas mit dir. Und dann macht es unglaublich Mut, von Gleichgesinnten zu hören, wie sie in ein normales Leben zurückgefunden haben. Ich habe mich so gut aufgehoben gefühlt und bin der Kinderonkologie hier an der Uniklinik sehr dankbar – für die medizinische Betreuung, aber insbesondere auch für dieses Gruppenangebot im Anschluss an die eigentliche Therapie. Hier war wirklich der Blick nach vorne gerichtet und wir Eltern – und dadurch auch unsere Kids – konnten sagen: Wir sind so cool! Wir haben schon so viel geschafft! Dieses Gefühl ist einfach unbeschreiblich!“
---
Zum Universitätsklinikum Düsseldorf:
Das Universitätsklinikum Düsseldorf (UKD) ist das größte Krankenhaus in der Landeshauptstadt und eines der wichtigsten medizinischen Zentren in NRW. Die 9.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in UKD und Tochterfirmen setzen sich dafür ein, dass jährlich über 55.000 Patientinnen und Patienten stationär behandelt und 270.000 ambulant versorgt werden können.
Das UKD steht für internationale Spitzenleistungen in Krankenversorgung, Forschung und Lehre, sowie für innovative und sichere Diagnostik, Therapie und Prävention. Patientinnen und Patienten profitieren von der intensiven interdisziplinären Zusammenarbeit der 60 Kliniken und Institute. Die besondere Stärke der Uniklinik ist die enge Verzahnung von Klinik und Forschung zur sicheren Anwendung neuer Methoden.
Am UKD entsteht die Medizin von morgen. Jeden Tag.