AKTUELL: Unter Bezugnahme auf viele der u.g. Empfehlungen und Stellungsnahme hat die Bundesärztekammer am 5.5.2020 eine Orientierungshilfe der Bundesärztekammer zur Allokation medizinischer Ressourcen am Beispiel der SARS-CoV-2-Pandemie im Falle eines Kapazitätsmangels veröffentlicht.

Zur Frage von Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie haben sieben (Fach-)Gesellschaften am 25.03.2020 Empfehlungen für Ärztinnen und Ärzte erstellt. Diese finden sich HIER

Einen ethischen Hintergrundkommentar von Prof. Dr. Ralf Stoecker, Bielefeld, finden Sie hier.

Ein Statement der Deutschen Bischoffskonferenz mit dem Titel "Triage. Medizinische Allokationsprobleme angesichts der Covid-19-Pandemie in ethischer Beurteilung" finden Sie hier.

 

Triage (von französisch "trier" - "aussortieren) bezeichnet in Krisenzeiten den Vorgang der Zuordnung von Patientinnen und Patienten zu Gruppen, die eine unterschiedliche medizinische Versorgung erhalten.

2008 erschien zu diesem Problem in Pandemiezeiten z.B. ein Beitrag von Tabery und Mackett in der Zeitschrift Disaster Medicine and Public Health Preparedness. In diesem Beitrag fragen sie unter einer ethischen Perspektive danach, wie in einem solchen Fall Krankenhäuser Patient/-innen nach Behandlungspriorität gruppieren, welche Kriterien sie dabei anwenden und wer diese Kriterien bestimmt. Sie gehen davon aus, dass im Falle einer schwerwiegenden Pandemie der etablierte medizinethische Standard der Fokussierung auf den Willen und das Wohl des/der einzelnen Patienten/Patientin sich verschieben werde zu einer Abwägung zwischen dem Wohl des/der Einzelnen und dem der Gesellschaft. Ziel müsse es dabei sein, einen Weg zu finden, der die öffentliche Gesundheit maximiere und dabei die individuellen Lasten möglichst minimiere.

Sind nun Ressourcen wie zum Beispiel Beatmungsgeräte knapp, kann die Situation auftreten, dass entschieden werden muss, welche/r Patient/-in diese Ressourcen erhält. Hier können ein medizinischer und ein sozialer Nutzen gegenüber stehen bzw. müssen gegeneinander abgewogen werden. Während der medizinische Nutzen auf die Gesundheitsverbesserung von Patienten zielt, zielt der soziale Nutzen auf die Maximierung des Wohls für die Gesellschaft. In normalen Zeiten steht der individuelle, medizinische Nutzen medizinethisch immer an erster Stelle. In Pandemiezeiten kann die Abwägung des sozialen Nutzens notwendig werden. Hier wiederum ist ein "breites" von einem "engen" Verständnis zu unterscheiden. Während nach dem "breiten" Verständnis unabhängig von einem Pandemiegeschehen jeder "soziale Wert" einer Person verstanden wird, bezieht sich das "enge" Konzept auf z.B. eine Pandemiesituation.

Während nach Tabery et al. eine Triage unter dem "breiten" Verständnis sozialethisch höchst problematisch ist, kann es bei einer Pandemie die Situation geben, dass entschieden werden muss, ob das Überleben einer bestimmten Person dazu beitragen kann, das Überleben weiterer Personen zu sichern. "The idea is that prioritizing the early (possibly preventive) treatment of individuals with the ability to minimize morbidity and mortality (or maintain social norms) during a pandemic crisis will have a positive, downstream effect on the number of people whom this individual can help survive the pandemic." Die Autoren schlagen am Ende vor, dass im Pandemiefall zunächst der medizinische Nutzen und dann ein enger sozialer Nutzen in die Überlegungen zur Triage mit einbezogen werden müsste.

Ferner wird ein utilitaristischer Ansatz (der größte Nutzen für die größte Zahl von Menschen) von einem egalitären Ansatz (Hilfe für die Heilbaren mit dem größten Bedarf) unterschieden. Nach dem ersteren ginge es darum, der größten Anzahl von Personen zu helfen zu überleben (auch zur Not nach first come, first serve-Prinzipien), nach dem zweiten Ansatz würden die Menschen mit dem größten Bedarf als erste Hilfe erhalten. Hier ist eine Abwägung, welchem Ansatz gefolgt werden soll, schwierig und höchst kontextabhängig.

Am Ende ihres Aufsatzes empfehlen die Autoren die frühzeitige Etablierung von interdiszipinär besetzten Triage Review Boards für jedes Krankenhaus, die regional und überregional im Austausch stehend lokale Priorisierungsstrategien festlegen sollten.

In Deutschland gilt ethisch und rechtlich ein Gleichheitsgebot, nach dem niemand aufgrund von Sozialstatus, Geschlecht, Religion, Alter etc. benachteiligt werden darf. Jedes Leben ist gleich viel wert. Das bedeutet, dass bei einer Entscheidung vor Zuteilung einer Ressource allein medizinische Kriterien wie Therapieoptionen und -ziele (bzw. die Chance diese zu erreichen) eine Rolle spielen dürfen. Ist eine solche Entscheidung schon schwierig, so ist ein nachträglicher Entzug einer Leistung (z.B. das Abschalten einer Beatmung, um sie jemandem anderes zu Gute kommen zu lassen) noch problematischer. Hier handelt es sich um eine Grenzsituation, die kaum zu bewältigen und auch kaum zu rechtfertigen ist, so lange die Beatmung sinnvolle Therapieziele verfolgt. Wieder gilt hier nämlich, dass jedes Leben gleich viel wert ist und Leben nicht gegeneinander abgewogen werden dürfen.

 

Empfohlene Literatur

 

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