Erinnerungskultur und „Aufarbeitung“ in der Medizin- und Wissenschaftsgeschichte

Gedächtnis und Erinnerung verbinden sowohl als individuelle, besonders aber als soziale Phänomene die Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften in besonderem Maße. Während die Erinnerungskultur gleichermaßen als interdisziplinärer Forschungsansatz als auch im Sinne einer Analysekategorie verstanden werden kann, liegt der Erinnerungspolitik ein weiterer intentionaler Aspekt zugrunde. Auch die Gedächtniskulturen in den (deutschen) Wissenschaften werden dabei auf vielfältige Weise durch die „langen Schatten des Holocaust“ (Assmann 2006) als zentralem Bezugspunkt der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts geprägt. 

Im Kontext der Medizin- und Wissenschaftsgeschichte ist mit den vielfältigen Erinnerungskulturen seit einigen Jahrzehnten eine unablässige Konjunktur so genannter „Aufarbeitungsprojekte“ verknüpft. Sie untersuchen Medizinverbrechen, bspw. in diktatorischen Gesellschaftssystemen, als auch in zunehmendem Maße Gewalt- und Missbrauchserfahrungen in öffentlichen Fürsorgeinstitutionen. Zunächst lag der Fokus auf dem Nationalsozialismus, seit den 1990er Jahren aber zunehmend auch auf der Zeit nach 1945. Innerhalb dieser Forschungsprojekte rücken vor allem die persönlich erlebten Schicksale von Betroffenen in den Mittelpunkt, die nicht selten selbst im Sinne eines partizipativen Forschungsansatzes eine aktive Rolle einnehmen. 

Am Institut haben wir einige Aufarbeitungsprojekte begleitet und selbst durchgeführt. 

Hieraus sind in jüngerer Zeit mehrere Bücher und Aufsätze entstanden, die zur Aufarbeitung beitragen sollen oder Erinnerungskulturen thematisieren.

Zur methodischen und inhaltlichen Reflexion dieser historischen Arbeit haben wir zuletzt drei Themenhefte von wissenschaftshistorischen Fachzeitschriften mitgestaltet:

  1. Forscher:innen in wissenschaftlichen und öffentlichen Erinnerungskulturen. Konjunkturen und Transformationsprozesse
    Themenheft: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte (2024) online-first 

    https://doi.org/10.1002/bewi.202300024

  2. Forum: Oral History in der Medizin. Etwas Besonderes? 
    Themenheft: N.T.M. Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 32-1 (2024), S. 35-79

    https://doi.org/10.1007/s00048-024-00380-7

  3. Medizinische Fachgesellschaften als „lieux de mémoire“? Beiträge zur fachkulturellen Erinnerung in der Medizin
    Themenheft: Medizinhistorisches Journal 55-3 (2020), S. 219-289

    https://doi.org/10.25162/mhj-2020-0007

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