Die akute myeloische Leukämie

Die Akute Myeloische Leukämie (AML) ist eine Blutkrebserkrankung, die durch die unkontrollierte Vermehrung unreifer myeloischer Vorläuferzellen im Knochenmark gekennzeichnet ist. Normalerweise entwickeln sich diese Vorläuferzellen zu reifen myeloischen Blutzellen, die als Teil der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) eine zentrale Rolle in der Immunabwehr und der Regulation von Entzündungsprozessen spielen. Bei AML werden die unreifen, bösartig veränderten Zellen als Blasten bezeichnet. Diese Blasten verdrängen die gesunden Zellen im Knochenmark und hemmen die normale Blutbildung, was schwerwiegende Komplikationen wie Blutarmut, Infektionsanfälligkeit und eine erhöhte Blutungsneigung verursacht. AML tritt überwiegend bei älteren Erwachsenen auf, kann jedoch Menschen jeden Alters betreffen. Unbehandelt schreitet die Erkrankung in der Regel schnell fort. In Fällen, in denen bereits hohe Leukozytenzahlen zu Organschädigungen führen, ist eine sofortige Therapie erforderlich, um eine rasche Krankheitskontrolle zu erreichen. In den letzten Jahren haben neue Erkenntnisse über die molekulare Pathogenese der AML zu einer Erweiterung der Behandlungsoptionen geführt, einschließlich zielgerichteter Therapien und Immuntherapien, die neue Hoffnung auf eine Verbesserung der Überlebensraten bieten. Zudem führte das bessere Verständnis der zugrunde liegenden Mutationen zu Fortschritten in der molekularen Diagnostik und zur Erstellung neuer Prognoseinstrumente, mit denen individuelle Therapiestrategien für die Patienten festgelegt werden können. Dabei stellen älteren Patienten und solche Patienten mit ungünstigen genetischen Veränderungen, weiterhin eine klinische Herausforderung dar. 

Bei der Diagnose einer AML wird zunächst beurteilt, ob der Patient für eine intensive kurative Therapie geeignet ist. Faktoren, die gegen eine solche Therapie sprechen, sind ein biologisches Alter von über 75 Jahren oder das Vorliegen schwerwiegender Begleiterkrankungen wie ein diabetisches Spätsyndrom, schwere Leber- oder Nierenerkrankungen, eine schwere Herzinsuffizienz oder ein bereits vor der Erkrankung bestehender schlechter Allgemeinzustand. Im nächsten Schritt erfolgt eine umfangreiche molekularbiologische und zytogenetische Analyse aus den kranken Blutzellen. Diese hat mehrere entscheidende Gründe: Zum einen kann rasch festgestellt werden, ob die AML molekulare Veränderungen aufweist, für die bereits zielgerichtete Therapien verfügbar sind. Zum anderen ermöglicht das molekulare Profil eine erste Prognoseeinschätzung. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass potenzielle molekulare Veränderungen identifiziert werden können, die mittels hochsensitiver Methoden als Verlaufsmarker zur Detektion einer minimalen Resterkrankung (MRD) dienen. Die MRD-Überwachung wird in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen, da ein gutes molekulares Ansprechen auf die Therapie zunehmend in die Prognosebewertung einfließen wird.

Hat man sich aufgrund des Allgemeinzustands entschieden, den Patienten mit einer intensiven Therapie zu behandeln, erfolgt zunächst eine sogenannte Induktionstherapie. Ziel dieser Therapie ist es, eine komplette Remission (CR) zu erreichen, d. h. die Anzahl der Leukämiezellen so weit zu reduzieren (<5%), dass sie mikroskopisch nicht mehr nachweisbar sind. Die häufigste Form der Induktionschemotherapie (7+3) besteht aus einer Kombination von Cytarabin (Tag 1–7) und Daunorubicin (Tag 1–3). Diese Behandlung führt bei etwa 60–80 % der jüngeren Patienten zu einer kompletten Remission. Das Ansprechen auf die Induktionstherapie hängt jedoch von den zugrunde liegenden genetischen Veränderungen und dem Alter des Patienten ab. Bei älteren Patienten ist zudem die Toxizität häufig höher. Mit dem Aufkommen neuer Wirkstoffe und Therapieansätze wurde die Induktionstherapie in den letzten Jahren zunehmend individualisiert. So ist CPX-351 insbesondere zur Behandlung von Patienten mit bestimmten Formen der akuten myeloischen Leukämie (AML) zugelassen, die eine schlechte Prognose haben, wie z. B. therapieassoziierte AML (t-AML) oder AML, die sich aus einer myelodysplastischen Erkrankung entwickelt hat und/oder damit assoziierte genetische Veränderungen aufweist. CPX-351 besteht aus den zwei bekannten Zytostatika Cytarabin und Daunorubicin und wird in einer speziellen Liposomenformulierung verabreicht, um die Wirksamkeit zu verbessern. Diese Formulierung optimiert die Freisetzung und Aufnahme der beiden Medikamente in die Leukämiezellen, was zu einer gezielteren und effektiveren Behandlung führt. Es wurde gezeigt, dass CPX-351 in bestimmten Fällen eine bessere Überlebensrate und weniger Nebenwirkungen im Vergleich zu herkömmlichen Zytostatika bietet. In den letzten Jahren wird auch die Kombination von Azacitidin und Venetoclax immer häufiger als Induktionstherapie eingesetzt. Azacitidin, eine sogenannte hypomethylierende Substanz (HMA), aktiviert unterdrückte Gene, verlangsamt das Zellwachstum und stärkt das Immunsystem. Venetoclax, ein BCL-2-Inhibitor, fördert den programmierten Zelltod (Apoptose) in Leukämiezellen. Diese Therapie ist besonders vorteilhaft für Patienten, die für eine intensive Chemotherapie zunächst nicht infrage kommen, da sie weniger toxisch ist, aber dennoch eine hohe Wirksamkeit aufweist. Klinische Studien zeigen gute Remissionsergebnisse und eine verbesserte Lebensqualität bei guter Verträglichkeit der Behandlung. Im Verlauf können mit Azacitidin und Venetoclax behandelte Patienten, bei Besserung des Allgemeinzustands und Erreichen einer kompletten Remission, teilweise doch noch eine intensivere kurative Therapie erhalten.

Mit den Fortschritten in der molekularen Diagnostik wurden in den letzten Jahren gezielte Therapien entwickelt, die auf spezifische genetische Veränderungen abzielen und teilweise schon während der Induktionstherapie zur Optimierung der AML-Behandlung eingesetzt werden. Zu den wichtigsten zielgerichteten Therapien gehören FLT3-Inhibitoren wie Midostaurin, Gilteritinib und Quizartinib, die bei etwa 30 % der AML-Patienten angewendet werden können. IDH-Inhibitoren wie Ivosidenib (bei IDH1-Mutation) und Enasidenib (bei IDH2-Mutation) richten sich gegen Mutationen in den Isocitrat-Dehydrogenase-Genen, die bei etwa 20 % der Patienten vorkommen. Außerdem wird das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Gemtuzumab Ozogamicin (GO) in der Behandlung der AML eingesetzt. Es bindet gezielt an das CD33-Antigen auf AML-Zellen und setzt das Chemotherapeutikum Calicheamicin frei, das die DNA der Krebszellen zerstört. GO wird insbesondere in Kombination mit einer Chemotherapie während der Induktionstherapie angewendet und verbessert die Überlebensrate.

Nach Erreichen einer Remission folgt die Konsolidierungstherapie, deren Ziel es ist, verbliebene Leukämiezellen zu eliminieren und das Rückfallrisiko zu senken. Diese Phase kann, je nach Risikoprofil des Patienten, intensive Chemotherapiezyklen oder eine allogene Blutstammzelltransplantation (allo SZT) umfassen. Bei einer allo SZT werden gesunde Blutstammzellen von einem passenden Spender übertragen, um das erkrankte blutbildende System des Patienten zu ersetzen. Ein entscheidender Mechanismus dabei ist der sogenannte Spender-gegen-Leukämie-Effekt (GVL-Effekt, Graft-versus-Leukemia-Effekt), der die Fähigkeit der Spender-Immunzellen beschreibt, nach der Transplantation gezielt verbliebene Leukämiezellen im Körper des Empfängers anzugreifen und zu eliminieren. Dies trägt wesentlich dazu bei, das Rückfallrisiko zu verringern. Daher sollte bei Patienten, die kurativ behandelt werden können, bereits zum Zeitpunkt der Erstdiagnose nach einem geeigneten Spender gesucht werden. Neben vollständig kompatiblen Geschwistern und Fremdspendern rücken in den letzten Jahren auch sogenannte haploidentische Spender, meist leibliche Kinder, zunehmend in den Fokus, da sie ebenfalls eine geeignete Option darstellen.

Eine Konsolidierungstherapie mit intensiven Chemotherapiezyklen wird bei der AML durchgeführt, wenn das Rückfallrisiko unter 40 % liegt. Dies ist insbesondere bei Patienten der Fall, deren Erkrankung eine NPM1-Mutation aufweist, bei der sogenannten core-binding-factor-AML (RUNX1::RUNX1T1, CBFB::MYH11) sowie bei AML mit bZIP in-frame mutiertem CEBPA. Obwohl die Therapieempfehlungen einem ständigen Wandel unterliegen, würde man bei diesen Patienten eine allogene Blutstammzelltransplantation in der Regel nur im Falle eines Rezidivs in Betracht ziehen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass bestimmte molekulare Meilensteine, die ein gutes Ansprechen auf die Therapie anzeigen, erreicht werden. Es ist wichtig zu beachten, dass die Mutationen, die mit einer eher günstigen Prognose einhergehen, häufig zusammen mit weiteren genetischen Veränderungen auftreten, deren zusätzlicher Einfluss noch Gegenstand aktueller Forschung ist. Deshalb ist es entscheidend, frühzeitig unter Zuhilfenahme aktueller Scores, der neuesten wissenschaftlichen Literatur und innovativer Online-Tools, wie dem AML Outcome Predictor (https://taxonomy.harmony-platform.eu/AML_outcome_predictor/), die Rückfallwahrscheinlichkeit zu ermitteln, um eine fundierte Therapieentscheidung treffen zu können. Liegt beispielsweise eine Mutation in den Genen ASXL1, BCOR, EZH2, RUNX1, SF3B1, SRSF2, STAG2, U2AF1 oder ZRSR2 vor oder liegt ein komplex veränderter Chromosomensatz vor, beträgt das Rückfallrisiko bei einer reinen intensiven Chemotherapie-Konsolidierung mehr als 90 %. In diesen Fällen sollte bereits nach Erreichen einer Remission primär eine allogene Blutstammzelltransplantation angestrebt werden. Die endgültige Entscheidung für eine allogene Blutstammzelltransplantation wird in der Regel von einem spezialisierten medizinischen Team getroffen, das alle individuellen Risikofaktoren und Behandlungsoptionen sorgfältig abwägt.

Im Anschluss an eine allogene Blutstammzelltransplantation oder eine intensive Chemotherapie-Konsolidierung kann sich, je nach Verfügbarkeit und vorhandenen Zielstrukturen, eine Erhaltungstherapie anschließen, um die Remission zu bewahren und Rückfälle zu verhindern. Diese umfasst hypomethylierende Substanzen, zielgerichtete Therapien (insbesondere FLT3-Inhibitoren) sowie Immuntherapien und wird abhängig vom individuellen Risikoprofil des Patienten gewählt. Das Hauptziel der Erhaltungstherapie besteht darin, die Krankheit langfristig zu kontrollieren und die Lebensqualität zu verbessern.

Wenn Patienten nicht für eine intensive Therapie geeignet sind, besteht das Hauptziel darin, die Krankheit zu kontrollieren und die Lebensqualität zu erhalten, ohne die Patienten unnötig durch die Behandlung zu belasten. Die Therapieauswahl basiert auf individuellen Faktoren wie dem allgemeinen Gesundheitszustand, den genetischen Merkmalen der Erkrankung und den Behandlungszielen. In den letzten Jahren haben Fortschritte zur Entwicklung neuer Behandlungsoptionen geführt. Anstelle toxischer Zytostatika werden nun hypomethylierende Substanzen wie Azacitidin und Decitabin in Kombination mit dem BCL-2-Inhibitor Venetoclax eingesetzt. Für Patienten mit IDH1-Mutationen kann eine gezielte Therapie mit dem IDH1-Hemmer Ivosidenib in Kombination mit hypomethylierenden Substanzen erwogen werden. Darüber hinaus wird derzeit in Studien untersucht, ob bei den nicht intensiv behandelbaren Patienten mit FLT3-mutierter AML die Ergänzung von FLT3-Inhibitoren verträglich ist und einen zusätzlichen Therapieerfolg bringen kann. Diese modernen Behandlungsansätze können das Leben der Patienten erheblich verlängern und dabei oft die Lebensqualität erhalten.

Insgesamt ist die Behandlung der AML häufig mit Nebenwirkungen verbunden, insbesondere im Zusammenhang mit Chemotherapie und allogener Blutstammzelltransplantation. Daher ist ein wichtiger Bestandteil der AML-Therapie das Supportivmanagement, das darauf abzielt, Infektionen, Blutungen und andere Komplikationen zu verhindern und zu behandeln. Dies umfasst nicht nur die Transfusion von Blutbestandteilen, sondern auch die prophylaktische Gabe von Antibiotika, Antimykotika und antiviralen Medikamenten, um mögliche Infektionen zu verhindern und die allgemeine Gesundheit des Patienten zu erhalten.

Die Klinik für Hämatologie, Onkologie und Klinische Immunologie ist seit Jahrzehnten fest in den großen deutschen Studiengruppen, der Acute Myeloid Leukemia Study Group (AMLSG) und der Studienallianz Leukämie (SAL), verankert und gehört mit über 70 AML-Erstdiagnosen pro Jahr zu den großen Zentren Deutschlands. Patienten, bei denen die Diagnose AML gestellt wird, sollten nach Möglichkeit in die Bioregister der genannten Studiengruppen aufgenommen werden (bis 2023 AMLSG-Register, ab 2024 SAL-Register). Dies trägt nicht nur zur Grundlagenforschung bei, sondern bietet auch konkrete Vorteile: Innerhalb von etwa 48 Stunden erhalten wir eine molekularbiologische Diagnostik, die eine erste prognostische Einschätzung ermöglicht. Darüber hinaus werden genetische Veränderungen identifiziert, die für zielgerichtete Therapien relevant sind oder als molekulare Marker zur Verlaufskontrolle genutzt werden können. So kann frühzeitig ein individuelles Therapiekonzept erstellt werden. Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit zur Teilnahme an klinischen Studien, in denen neben bewährten Therapieprotokollen auch neue, potenziell wirksame, aber in dieser Kombination noch nicht zugelassene Substanzen getestet werden. Für Patienten mit neu diagnostizierter akuter myeloischer Leukämie (AML) und einem Core-Binding-Factor-Fusionstranskript (CBF) oder einer FLT3-Mutation, die für eine kurative intensive Erstlinientherapie geeignet sind, bieten wir die Teilnahme an der MOSAIC-Studie an. Dabei erhalten Patienten mit einem sogenannten CBF-Fusionstranskript randomisiert zusätzlich zur Standardtherapie (7+3 + Gemtuzumab Ozogamicin) das eigentlich für FLT3-mutierte Leukämie zugelassene Midostaurin (MAGNOLIA). Umgekehrt bekommen Patienten mit einer FLT3-mutierten Leukämie zusätzlich zur Standardtherapie (7+3 + Midostaurin) ebenfalls Gemtuzumab Ozogamicin (MAGMA). Für beide Studien gibt es wissenschaftliche Hintergründe, die die potenzielle Wirksamkeit der zusätzlichen Substanz untermauern, und durch die randomisierte Untersuchung soll die AML-Therapie weiter optimiert werden. Zudem bieten wir Patienten mit NPM1-mutierter AML die Möglichkeit zur Teilnahme an der innovativen VINCENT-Studie an, die Venetoclax plus Azacitidin randomisiert mit der kurativen Standardchemotherapie vergleicht. Die zugrunde liegende Hypothese ist, dass aktuelle Daten zeigen, dass Patienten mit NPM1-mutierter AML besonders gut auf Venetoclax plus Azacitidin ansprechen. Ob diese Kombination jedoch ebenfalls eine kurative Therapie darstellen kann, ist eines der Ziele der Studie. Neben der primären Untersuchung der Wirksamkeit werden auch sekundär Verträglichkeit, Remissionsraten, molekulares Ansprechen und Lebensqualität erfasst. Auch für Patienten, die nicht intensiv behandelt werden können, gibt es die Möglichkeit, an einer Studie teilzunehmen. Neuerdings nehmen wir auch an der innovativen SEQUENCE-Studie teil. Dadurch können wir Patienten mit FLT3-Mutation, die nicht für eine intensive Therapie geeignet sind, im Rahmen der SAL eine zielgerichtete Behandlung anbieten. Ziel ist es nicht nur, die Wirksamkeit der Therapie zu verbessern, sondern auch eine möglichst nebenwirkungsarme Sequenz der Substanzen Azacitidin, Venetoclax und Gilteritinib zu identifizieren.Ob Studien verfügbar sind und ob eine Teilnahme möglich und empfehlenswert ist, kann mit den behandelnden Ärzten vor Beginn einer Therapie thematisiert werden.

(Aus Leukämie Lymphom Aktuell, Dezember 2024 / Ausgabe Nr. 66, Autor: Paul Jäger)

Prof. Dr. med. Ulrich Germing
Oberarzt


Dr. med. Paul Jäger
Oberarzt


Thi Nguyen
Studienkoordinatorin


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