Molekulare Lebensaltersschätzung

Lebensaltersschätzung in den forensischen Wissenschaften

Die Lebensaltersschätzung ist in den forensischen Wissenschaften ein hochrelevantes Thema, dessen Bedeutung in Zeiten von Migration und Flucht noch gewachsen ist. Jedes Verfahren zur Lebensaltersschätzung stützt sich letztlich auf die Untersuchung von Parametern, die sich mit zunehmendem Lebensalter verändern und so Rückschlüsse auf das Alter zulassen. Traditionelle Methoden nutzen insbesondere morphologisch fassbare Altersveränderungen wie alterstypische Veränderungen an Zähnen und Knochen. Aufgrund der Komplexität des Alterns kann das so geschätzte „morphologische Alter“ im Erwachsenenalter allerdings ganz erheblich vom chronologischen Alter abweichen. Mit der Identifikation und Beschreibung „molekularer Uhren“ eröffneten sich neue Möglichkeiten zur Entwicklung von Verfahren zur Lebensaltersschätzung und zudem eine hochinteressante Schnittmenge zwischen forensischen Wissenschaften und Altersforschung.

„Molekulare Uhren“

Als „Molekulare Uhren“ werden Molekülmodifikationen bezeichnet, die mit zunehmendem Lebensalter akkumulieren und deren Ausprägung eng mit dem Lebensalter korreliert. Solche Modifikationen wurden insbesondere für Proteine (Eiweiße) und DNA beschrieben. Aus der Sicht der Altersforschung ergeben sich daraus interessante Fragen zur genauen Bedeutung dieser molekularen Modifikationen für Alterungsprozesse und zu ihrem Beitrag zum biologischen Alter eines Individuums. Aus Perspektive der forensischen Wissenschaften ist interessant, dass einige dieser Modifikationen einen so engen Zusammenhang mit dem chronologischen Lebensalter zeigen, dass sie dafür genutzt werden können das Alter einer (z.B. unbekannten) Person zu schätzen.

Folgende drei „molekulare Uhren“ werden in Laboren des Düsseldorfer Instituts für Rechtsmedizin bearbeitet:

I.          Die Akkumulation von D-Asparaginsäure (D-Asp) mit zunehmendem Lebensalter ist das Ergebnis einer spontanen Umwandlung von L-Asparagin- und L-Asparaginsäureresten in ihre D-Form. Sie wurde für einige langlebige, permanente Proteine und in zahlreichen Geweben beschrieben.

II.         Die Akkumulation von Pentosidin (Pen), eines Advanced Glycation End Products (AGE), ist das Ergebnis einer Reaktion freier Aminogruppen von Proteinen mit Glucose oder anderen reduzierenden Zuckern.

III.      Die DNA-Methylierung (mDNA) bietet ebenfalls vielversprechende Ansätze für molekulare Altersschätzungen. Zahlreiche altersabhängige Methylierungsmarker wurden bereits in Geweben und Körperflüssigkeiten identifiziert und verschiedene Modelle für Altersschätzungen vorgeschlagen.

Molekulare Lebensaltersschätzung auf Basis von D-Asp, Pen und DNAm

Alle drei genannten Uhren (D-Asp, Pen, DNAm) „ticken“ in zahlreichen (vermutlich allen) menschlichen Geweben und können im Erwachsenenalter deutlich bessere Möglichkeiten zur Altersschätzung eröffnen als morphologische Ansätze.

Eines der genauesten Verfahren ist die Lebensaltersschätzung auf Basis der Akkumulation von D-Asp in Dentin (Zahnbein); dieser Ansatz ist zunehmend in der forensischen Praxis etabliert. Im Labor des Düsseldorfer Instituts für Rechtsmedizin liegt der mittlere absolute Fehler (MAE) bei Nutzung dieser Uhr je nach eingesetztem Zahntyp bei ca. +/- 1,4 Jahren. Mit anderen, komplexeren Geweben können ähnlich genaue Ergebnisse wie für Dentin nur erreicht werden, wenn mit hohem Aufwand langlebige Proteine aufgereinigt werden.

Ein großer Vorteil der Altersschätzung auf Basis der DNAm ist ihre breite Einsetzbarkeit durch die Nutzbarkeit von Blut, Mundschleimhautabstrichen oder verschiedener Gewebe als Untersuchungsmaterial. Für die besten Modelle unter Nutzung von DNAm Daten sind MAEs von ca. 3-5 Jahren beschrieben. Die Frage, ob und wie bekannte externe und interne Einflüsse auf die DNA-Methylierung die Qualität von Altersschätzungen über DNAm beeinträchtigen, ist Gegenstand aktueller Forschung

Die „Pentosidin-Uhr“ (Pen) ist im Vergleich zu den beiden anderen vorgestellten Uhren deutlich ungenauer. Ein Nachteil dieses Ansatzes ist die theoretische Beeinflussbarkeit durch einen erhöhten Blutzuckerspiegel bei diabetischen Stoffwechsellagen, wobei dies offenbar nur in Fällen mit dauerhafter schlechter medikamentöser Einstellung von praktischer Bedeutung zu sein scheint. Dennoch hat sie ihre Bedeutung in multivariaten Modellen und scheint auch über tausende von Jahren stabil zu sein.

Besonderheit des Düsseldorfer Instituts für Rechtsmedizin

Die Forschung an den beiden „Proteinuhren“ (D-Asp und Pen) und der DNAm-Uhr erfordert spezialisierte Labore (Proteinlabor, molekulargenetisches Labor). Im Düsseldorfer Institut stehen beide Labore zur Verfügung; hier arbeiten unterschiedlich qualifizierte Wissenschaftler*innen interdisziplinär eng zusammen, um die Möglichkeiten der so unterschiedlichen molekularen Uhren für die forensische Altersschätzung optimal nutzen zu können.

Aktuelle Forschungsprojekte

  • Human Epigenetics and Bioinformatics for Forensic Age Estimation (DFG gefördertes Projekt in Kooperation mit Prof. Dr. med. Wolfgang Wagner, Helmholtz-Institute for Biomedical Engineering, RWTH Aachen.
    • Einfluss biogeographischer Herkunft auf DNAm?
    • Besonderheiten der DNAm bei wachstumsgestörten Kindern?
  • Intelligente Nutzung von Altersinformationen aus posttranslationalen Proteinmodifikationen und DNA-Methylierung: Ein molekularer „Werkzeugkasten“ für die verschiedensten Anforderungen im Rahmen der postmortalen Lebensaltersschätzung (in Kooperation mit Dr. Jana Naue, Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Freiburg).
  • Ist die “Pentosidin-Uhr” noch nach Jahrtausenden zur Lebensaltersschätzung nutzbar? – Systematische Untersuchungen an altem Zahn- und Knochenmaterial.
  • Gekocht oder nicht gekocht?  - Nachweis einer Bestattung more teutonico über D-Asparaginsäure in Knochenprotein (in Kooperation mit den Museen der Stadt Aschaffenburg).

Ansprechpartner*innen für Informationen / Forschungskooperationen:

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