Haeckels ambivalentes Vermächtnis: Biologie, Politik und Naturphilosophie

Die diesjährige Herbsttagung des Leopoldina-Zentrums für Wissenschaftsforschung widmet sich der kritischen Reflexion der wissenschaftshistorischen Wirkung und einer Neuperspektivierung der historiographischen Erinnerungskultur Ernst Haeckels.

Die Tagung findet statt am Montag, 7. Oktober 2019 bis Mittwoch, 9. Oktober 2019 in den Räumen der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften in Halle (Saale).

Wissenschaftliche Leitung: Dr. Thomas Bach (Jena), Prof. Dr. Christina Brandt (Jena), Prof. Dr. Heiner Fangerau ML (Düsseldorf) und Prof. Dr. Kristian Köchy (Kassel).

Der Biologe Ernst Haeckel (1834-1919) verkörpert wie kaum ein anderer deutschsprachiger Naturwissenschaftler die Ambivalenzen biologischer Diskurse des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Zwischen wissenschaftlichem Materialismus und spekulativen Ideen changierend und in wechselseitiger politischer Indienstnahme bildeten sich evolutionstheoretisch begründete Perspektiven auf Natur und Gesellschaft heraus, die – oftmals visionär angelegt – weitreichende Wirkungen im 20. Jahrhundert hatten. Die Nähe von Biologie, Philosophie, und Politik bot schon Zeitgenossen Raum für weitgehende, ambivalente Interpretationen, so beispielsweise im Monismus, der sich gegen Religion richtete, um dann selbst durch Wilhelm Ostwald und Ernst Haeckel symbolisch und inhaltlich quasi religiös betrieben zu werden. Der mechanistische Physiologe Jacques Loeb schrieb 1891 seinem Mentor Ernst Mach: „... Haeckel, Weismann, Spencer … sind durch und durch Naturphilosophen resp. Metaphysiker. Dem biblischen Unsinn gaben sie einen Stoss und die Entwicklung ist gewiss etwas rationelles. Aber schliesslich kommt es doch hier auch auf die Wirklichkeit an und nicht auf Träume, so wohlgemeint die letzteren auch sein mögen.“

Schon zu Lebzeiten hatte Haeckel nicht nur als vielfach geehrter Wissenschaftler einen großen Einfluss auf die Entwicklung der akademischen Biologie im deutschen Sprachraum gewinnen können, sondern er war auch als Popularisierer von Wissenschaft einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Seine Wissenschaftspopularisierung wurde in der Historiographie nicht ohne Grund kritisch betrachtet. Vor und nach seinem Tode griffen verschiedenste Kreise Ideen Haeckels auf, womit er zum universellen Kronzeugen ganz unterschiedlicher politischer Ansätze wurde: Sozialdemokraten beriefen sich (vor 1933) ebenso auf ihn wie nach 1933 die Nationalsozialisten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Haeckel und sein Fortwirken zunehmend kritischer betrachtet, auch wenn er insbesondere (aber eben nicht nur), in der DDR zum „nationalen Pionier der Evolutionstheorie“ avancierte.

Die Jahrestagung des Leopoldina-Zentrums für Wissenschaftsforschung möchte den vielfältigen Wirkungen und Einflusssphären der Haeckelschen Gedankenwelt und ihrer Repräsentationsformen in einer diachronen Perspektive nachgehen. Betrachtet/ analysiert werden sollen seine explizite Rezeption und implizite Fortwirkung in verschiedenen Phasen seit  dem späten 19. Jahrhundert und vor allem im 20. Jahrhundert im deutschsprachigen und internationalen Raum. Die möglichen Themenfelder sollen dabei jeweils auf Haeckel und sein Nachleben in verschiedenen Diskursen insbesondere an der Schnittstelle von biologischen, politischen und naturphilosophischen Auseinandersetzungen rekurrieren. Dabei soll der Fokus nicht allein auf der Person Haeckels liegen, auch wenn ein Themenfeld der Tagung seinem Aufstieg zur „Symbolfigur“ gewidmet ist. Im Zentrum sollen vielmehr auch die größeren Kontexte des Nachwirkens seiner Thesen und Theorien stehen. Ein weiteres Ziel der Tagung ist es, den historiographischen Umgang mit der Symbolfigur Haeckel in den deutschsprachigen „Erinnerungskulturen“ in verschiedenen Phasen des 20. Jahrhunderts besonders in den Blick zu nehmen.

Auf dieser Basis möchte die Tagung mit Blick auf die Lebenswissenschaften im 20. und 21. Jahrhundert

• aus historischer und philosophischer Perspektive die Relationen zwischen den Fragen der Biologie und ihren philosophischen Implikationen in den Blick nehmen und

• exemplarisch einige der konkreten (auch personell fassbaren) Beziehungen zwischen Naturwissenschaft, Naturphilosophie und ihren politischen Dimensionen rekonstruieren.

Mit diesen Fragestellungen und Ausrichtungen zielt die Tagung nicht zuletzt darauf, Analysen und Interpretationen des Verhältnisses von Wissenschaft, Philosophie und Politik anzubieten, die sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart betreffen können.

Bitte senden Sie ein kurzes Abstract (max. eine Seite) für einen Vortrag im Rahmen dieser Tagung sowie einen KurzCV (5 Zeilen) bis zum 30. April 2019 an den Leiter des Leopoldina-Zentrums für Wissenschaftsforschung, Prof. Dr. Rainer Godel: rainer.godel@leopoldina.org.

Bitte verwenden Sie dabei als Überschrift der E-Mail „Herbsttagung 2019“.  

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