Distraktionsosteogenese

Die Distraktionsosteogenese ist ein Verfahren zum körpereigenen Gewebsersatz am Ort des Defekts. Grundsätzlich erlaubt es diese Technik, Knochenneubildung nach Abschluss des Wachstums zu erreichen. Dies geschieht unter Erhalt und Anpassung der umgebenden Weichteile und Gefäße. Auf eine dauerhafte Einpflanzung von Fremdmaterial kann bei Anwendung dieser Technik verzichtet werden.

Die Technik wurde in den 50er Jahren von dem russischen Chirurgen G. A. Ilizarov eher zufällig entdeckt.

Distraktionsosteogenese im Bereich des Gesichtsschädels

Durch die Technik der Distraktionsosteogenese lassen sich häufig günstigere Ergebnisse erzielen als bei Einsatz anderer chirurgischer Techniken, da es im Verlauf zur Mitentwicklung der umgebenden Weichteile kommt.

Technisches Vorgehen:

Das technische Vorgehen lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Zunächst muss chirurgisch ein künstlicher "Frakturspalt" geschaffen werden. Dies geschieht nach präziser Planung in Voll- oder Teilnarkose durch operatives Durchtrennen des vorhandenen Knochens. Beidseits des "Frakturspaltes" wird nun ein sogenannter "Distraktor" angebracht, der durch eine entsprechende Mechanik ein schrittweises, tägliches Auseinanderdrängen sog. Distrahieren der Fragmentenden ermöglicht. Im "Frakturspalt" entsteht nach einigen Tagen entsprechend den normalen biologischen Heilungsvorgängen ein Regenerationsgewebe, sog. Kallus, das im Rahmen der Behandlung mitwächst und sich nach Erreichen der gewünschten Länge unter stabilen Bedingungen zu Knochen umbaut. Auf diese Weise können täglich 0.5 bis 1.5 mm Knochen erzeugt werden. Der Zeitrahmen der Therapie ergibt sich aus Dauer der Kallusbildung (ca. 5 Tage), geplanter Distraktionslänge (= Tage x 1mm) und Konsolidierungsphase (in der Regel 12 Wochen). Nach knöcherner Durchbauung wird der Distraktor wieder chirurgisch entfernt, ähnlich der Materialentfernung nach operativer Knochenbruchbehandlung. Qualitativ und quantitativ unterscheidet sich der neu gebildete Knochen bei komplikationslosem Verlauf nicht von primär gebildetem Knochen. Je nach Einsatzbereich exisitieren diverse kommerzielle Distraktormodelle.

Einsatz der Distraktionsosteogenese im Bereich der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie:

Zunächst wurde die Distraktionsosteognese als Verfahren zur Unterkieferrekonstruktion bei Kindern sowie zur Defektüberbrückung nach Trauma oder Tumorresektion angewendet. Im Unterkiefer stellen isolierte oder syndromassoziierte angeborene Unterentwicklungen einen wesentlichen Indikationsbereich dar. Im Säuglings- und Kleinkindalter wird bei Patienten mit Pierre-Robin-Syndrom der Unterkiefer zur Sicherung der Atemwege verlängert. Vor allem Patienten mit einseitiger Unterentwicklung des Gesichts (Hemifaziale Mikrosomie), die durch eine Wachstumsstörung des Unterkiefers mit bedingt ist sowie Patienten mit angeborenen Dysostosen (Berry-Syndrom/Franceschetti-Zwahlen-Syndrom/Treacher-Collins-Syndrom, Nager-de-Reynier-Syndrom) profitieren vom Einsatz der Distraktionsosteognese durch die begleitende Nachentwicklung der Weichteile.
Bei kieferorthopädischen Fragestellungen stellt die Distraktionsosteogenese eine Alternative zur Zahnextraktion bei Platzmangel dar. Unterschiedliche Techniken mit intra- und extraoralen Apparaturen kommen dabei zur Anwendung.

Im Bereich zahnloser Kieferabschnitte werden kleine Distraktoren zur Kieferkammerhöhung vor einer geplanten Einbringung von Zahnimplantaten eingesetzt.

Die vertikale Distraktion zur Alveolarfortsatzverlängerung im Unterkiefer wird vor allem im Frontalbereich vorgenommen. Im Seitenzahnbereich ist diese Anwendung nur in Ausnahmefällen indiziert und wird häufig mit einer Verlagerung des Nervus alveolaris inferior kombiniert. Hier sollte das Verfahren nur bei extremem Knochenschwund zur Anwendung kommen.
Auch im Oberkiefer ist das Haupteinsatzgebiet dieser Technik der Frontzahnbereich. Im Seitenzahnbereich wird allerdings die Anwendung des Verfahrens durch die anatomische Anordnung der Nasennebenhöhlen limitiert.

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