Lippen-, Kiefer-, Gaumenfehlbildungen
Durch die verbesserte pränatale Ultraschalldiagnostik werden heute Fehlbildungen der Lippen und des Kiefers in der Regel schon vor der Geburt festgestellt. Reine Gaumenfehlbildungen sind bei einer vorgeburtlichen Ultraschalldiagnostik nur schwer zu diagnostizieren.
Aufgabe eines interdisziplinären Spaltteams ist es, die betroffenen Eltern schon frühzeitig über diese Fehlbildungen und deren Behandlungsmöglichkeiten aufzuklären und vor allem Ängste abzubauen.
Das Team am Universitätsklinikum Düsseldorf ist breit aufgestellt und besteht aus Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen, Kieferorthopäden, Hals-Nasen-Ohrenärzten, Neurochirurgen, Phoniatern und Pädaudiologen, Logopäden, Gynäkologen, Kinderärzten, Zahnärzten, Humangenetikern und Stillberaterinnen. Alle Mitglieder dieses Teams stehen je nach individuellem Bedarf den Eltern und ihren Kindern zur Verfügung.
Entstehung und Häufigkeit von Lippen-Kiefer-Gaumenfehlbildungen
Lippen-Kiefer-Gaumenspalten gehören zu den häufigsten angeborenen Fehlbildungen und treten mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:500 Geburten auf. Isolierte Gaumenspalten sind dagegen seltener, ihre Häufigkeit liegt im europäischen Raum bei 1:1500 Geburten. Die Ursachen für die Entstehung von Spaltfehlbildungen sind multifaktoriell und bis heute nicht im Detail geklärt. Es spielen dabei erbliche, aber auch äußere Faktoren eine Rolle. Zu den äußeren Faktoren, die eine Bedeutung haben, gehört z.B. auch der Alkohol-, Tabak- und Medikamentenkonsum während der Schwangerschaft.
Leider gibt es für werdende Mütter keine sichere Prävention; eine Tabak- und Alkoholkarenz sowie die Beachtung einer gesunden Ernährung ist dennoch anzuraten.
Formen der Spaltbildung: Lippen-, Lippen-Kiefer-, Lippen-Kiefer-Gaumen-Fehlbildung
Die große Vielfalt möglicher Spaltfehlbildungen mag zunächst verwirren. Es können einzelne Abschnitte wie die Lippe, der Kiefer oder der Gaumen betroffen sein. Die Fehlbildung kann ein- oder beidseitig auftreten, sie kann vollständig oder unvollständig ausgeprägt sein oder auch fast versteckt, als so genannte Mikroform, nur für den Experten erkennbar sein.
Übersicht über die wichtigsten Behandlungsschritte
Bei der Behandlung von Kindern mit Spaltfehlbildungen greifen die einzelnen Leistungen des Behandlungsteams ineinander. Man unterscheidet zwischen einer Primär- und einer Sekundärbehandlung:
Bei der Primärbehandlung wird das Neugeborene kurz nach der Geburt durch Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen und Kieferorthopäden gesehen. Sofern eine Spalte des Hartgaumens vorliegt, wird eine Gaumenplatte hergestellt, die die offene Mundhöhle vom Nasenraum trennt und damit den Schluckakt erleichtert. Zudem dient die Gaumenplatte auch der kieferorthopädischen Frühbehandlung, da sie zu einer Verbesserung der Zungenlage und des Schluckaktes führt und bei der Ausformung des Oberkiefers für die Vorbereitung des Gaumenverschlusses dient.
Zur Primärbehandlung zählen desweiteren alle operativen Schritte zum Spaltverschluss. Der Lippenspalt- und Nasenbodenverschluss haben zum Ziel, die Symmetrie der Oberlippe herzustellen, die Lippenrotweißgrenze zu harmonisieren und den Naseneingang zu formen. Da bei allen Lippenspalten ein Gewebedefizit besteht, geschieht dies über verschiedene Techniken, die entsprechend der Spaltform individuell ausgewählt werden. Wichtig ist die funktionelle Rekonstruktion der Muskelschlinge der Oberlippe, um narbige Verziehungen und eine Einziehung des Lippenrotes zu vermeiden.
Bei Gaumenspalten sind der weiche und harte Gaumen in unterschiedlicher Weise betroffen. Hierbei ist es wichtig, einen dichten Verschluss der betroffenen Anteile zu erzielen und vor allem, die falsch inserierenden Muskelansätze zu lösen und in anatomisch richtiger Position neu zu vereinen. Es gibt im wesentlichen zwei Methoden für den Gaumenspaltverschluss: die so genannte Stiellappen- oder die Brückenlappen-Technik. Beide haben die Herstellung einer funktionellen Muskelschlinge im weichen Gaumen zum Ziel. Dies ist unerlässlich zur Entwicklung einer regelrechten Sprachfunktion.
Prinzipiell lässt sich die Wiederherstellung der regelrechten Gaumenanatomie ein- oder zweizeitig durchführen. In unserem Team favorisieren wir den einzeitigen Gaumenspaltverschluß.
Bei Kieferspalten ist zur Stabilisierung des Oberkiefers und zur Verbesserung des Zahndurchbruchs häufig eine so genannte Kieferspaltosteoplastik im Alter von 9 bis 12 Jahen erforderlich. Dies verlangt allerdings stets die begleitende kieferorthopädische Behandlung mit einer festsitzenden Apparatur, um den Zahndurchbruch und die Einordnung der seitlichen Schneidezähne und / oder des Eckzahnes zu steuern.
Bis zum Eintritt in das Schulalter sollte ein Kind mit einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Fehlbildung funktionell weitestgehend rehabilitiert sein. Dazu gehören selbstverständlich die Sprechfunktion, das Hören und der Kau- und Schluckvorgang.
Trotz optimaler chirurgischer Versorgung kann es zu ästhetisch ungünstigen Narbenbildungen oder Nasen- und Lippenasymmetrien kommen. Auch funktionelle Probleme wie das Näseln beim Sprechen (Rhinolalie) können entstehen. Führt die logopädische Mitbetreuung des Kindes beim offenen Näseln nicht zum Erfolg, sollte im Rahmen der Sekundärbehandlung eine chirurgische Korrektur durch eine so genannte Velopharyngoplastik am besten noch vor der Einschulung erfolgen.
Bei doppelseitigen Spaltfehlbildungen liegt häufig eine Verkürzung des Nasensteges vor. Auch hier kann eine Korrekturoperation, die sog. Columellaplastik, die idealerweise noch vor der Einschulung durchgefüht wird, einer Stigmatisierung vorbeugen.
Die Behandlung der typischen Nasendeformitäten bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalten durch eine Septorhinoplastik sollte hingegen erst nach Abschluss des Mittelgesichtswachstums erfolgen.
Gleiches gilt für Korrektureingriffe bei Patienten mit ausgeprägter Wachstumshemmung im Mittelgesicht. Dabei kommen neben kieferorthopädischen Operationen, wie Oberkiefer- und / oder Unterkiefer-Umstellungsosteotomien, die erst nach Abschluss des Wachstum durchgeführt werden, auch Verfahren, wie die Distraktionsosteogenese zum Einsatz.
Ablauf der Therapie bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalten
Alter | Therapie | Technik |
---|---|---|
1-5 Tage | Gaumenplatte | |
4-6 Monate | Lippen-/ggf. Nasenbodenverschluss | Tennison-Randall, Millard, Pfeiffer |
6-12 Monate | Weichgaumenverschluss | Veloplastik nach Kriens |
9-18 Monate | Gaumenverschluss | Brücken- oder Stiellappenplastik |
5-7. Lebensjahr | ggf. Lippenkorrektur ggf. Nasenstegverlängerung ggf. Velopharyngoplastik | Pfeiffer Gabellappenplastik Sanvenero-Roselli |
9-12. Lebensjahr | ggf. Kieferspaltosteoplastik | Beckenkammspongiosa |
ab 17. Lebensjahr | ggf. Dysgnathieoperation ggf. Septorhinoplastik |