Fertilitätsprotektion bei Kindern

Liebe Eltern,

höhere Überlebensraten bei onkologischen Erkrankungen, insbesondere im Kindesalter, sind den fortschrittlichen und verbesserten Behandlungsmöglichkeiten in der Kinderonkologie zu verdanken. Die jungen Patientinnen und Patienten können in Abhängigkeit ihrer Erkrankung und bei rechtzeitiger Erkennung erfreulicherweise vollständig geheilt werden, gesund heranwachsen und wünschen sich bestenfalls dann auch im erwachsenen Alter ihre eigenen Kinder.

Trotz Verbesserung der angewandten Therapieschemata können allerdings bereits im Kindesalter, genau wie bei betroffenen erwachsenen Patienten, die Keimzellen in den Eierstöcken bzw. in den Hoden unwiederbringlich geschädigt werden. Vorwiegend sind davon Kinder betroffen mit Malignomen wie einem Wilms-Tumor, Osteosarkom oder einem Lymphom, aber auch Kinder mit einer bevorstehenden Stammzelltransplantation bei gutartigen Erkrankungen wie zum Beispiel der Thalassämia major oder einer Sichelzellkrankheit (Sänger N et al., Dtsch Arztebl 2018).

Je nach Art und Umfang der Behandlung wird die Fruchtbarkeit dabei mehr oder minder stark beeinträchtigt, bis hin zu Unfruchtbarkeit als zwingender Folge. Es ist somit wichtig, sich trotz leidvoller Grunderkrankung bereits früh mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, um entsprechende Vorbeugemaßnahmen - zum Teil parallel oder zumeist noch vor der eigentlichen Krebstherapie - einzuleiten.

Unser Ziel ist es, junge Patientinnen und Patienten vor diesem unwiederbringlichen Verlust zu bewahren, sie umfassend aufzuklären. In enger Zusammenarbeit mit den Kinderonkologen, der Kinderklinik, der Kinderchirurgie, der Urologie und der Frauenklinik erklären wir den kleinen Patientinnen, Patienten und auch Ihnen die aktuellen Möglichkeiten. Wir gehen intensiv und ausführlich auf Chancen und Risiken der Methoden ein und stellen damit eine kritische, jedoch sehr wichtige Weiche für die im Moment betroffenen Kinder.


Fertilitätserhalt bei Mädchen

Vor der ersten Regelblutung (Menarche) ist die Entnahme und Kryokonservierung von Eierstockgewebe meist die sinnvollste Möglichkeit. Vor Beginn einer Chemo- oder Strahlentherapie wird dabei das Keimgewebe im Rahmen eines minimalen Eingriffes (zumeist kombiniert mit einer operativen Legung eines Medikamentenzugangs, so dass kein zusätzlicher Eingriff von Nöten ist) entnommen und anschließend aufbereitet und eingefroren. Die Lagerung bei Tiefentemperaturen mit Hilfe von Stickstoff sorgt für eine komplette Ruhigstellung aller biologischen Prozesse aller Zellen, so dass das eingefrorene Keimgewebe mit den wichtig darin enthaltenden Eizellen keinen fortschreitenden Alterungsprozess erfährt. Diese Lagerung ist zum jetzigen Wissensstand ohne zeitliche Begrenzung möglich. Untersuchungen haben gezeigt, dass selbst Lagerungszeiten von bis zu 20 Jahren keinen Einfluss auf die Qualität der Keimzellen hatten.

Weist das verbliebene Keimgewebe in den Eierstöcken der jungen Patientinnen nach der Chemotherapie oder Bestrahlung ein vorzeitiges therapieinduziertes Funktionsversagen auf - dies kann sich durch eine fehlende Pubertätsinduktion darstellen (das Ausbleiben der ersten Regelblutung, reduzierte bis keine Ausprägung der sekundären Geschlechtsmerkmale) oder, dass zum eigentlichen Zeitpunkt des Kinderwunsches keine regelmäßigen Monatszyklen durch ausreichend heranwachsende Eizellen mehr zu verzeichnen sind, die für die Erfüllung eines Kinderwunsches jedoch eine Grundvoraussetzung darstellen - kann auf das eingefrorene Keimzell-(Eierstock)-gewebe zurückgegriffen werden. Man spricht hierbei von einer Rückverpflanzung = Transplantation des kindlichen Keimgewebes. Dadurch kann eine vollständige Wideraufnahme der natürlichen weiblichen Geschlechtshormonproduktion erzielt werden bzw. die Produktion dieser Hormone durch das eingefrorene Eierstockgewebe den Einstieg in die weibliche Pubertät erstmalig induzieren.

Natürlich erfolgt die Rückgabe des Gewebes nur, wenn ein Risiko für eine Übertragung von Tumorzellen in den Eierstöcken als außerordentlich gering eingeschätzt wird. Ist dies nicht der Fall, kann dennoch die Sicherung von Eierstockgewebe erfolgen - aktuelle internationale Forschungsbemühungen zielen auf die Heranreifung von Follikeln und Eizellen im Eierstockgewebe im Labor, so dass keine Rücktransplantation mehr nötig sein wird. Damit könnte zukünftig die Fruchtbarkeit durch die Gewinnung reifer Eizellen gewährleistet werden, ohne eine Gefahr für ein Wiederauftreten der Erkrankung (Rezidivbildung).

Welche Methoden sind bei Mädchen vor der Pubertät außerdem noch möglich?

  • Transposition der Ovarien: Auslagern der Eierstöcke aus dem Bestrahlungsfeld durch eine Operation (Bauchspiegelung). Diese Methode kann Anwendung finden, wenn eine Bestrahlungstherapie (Radiatio) im Bereich des kleinen Beckens, der Eierstöcke, bevorsteht. Dadurch kann vor allem die natürliche Hormonproduktion erhalten werden, für eine spätere Spontanschwangerschaft wäre allerdings eine Rückverlagerung notwendig oder eine Schwangerschaft müsste über eine Punktion der reifen Eizellen mit anschließender extrakorporaler Befruchtung (IVF-Behandlung) erfolgen.

Welche Methoden sind bei Mädchen während der Pubertät (nach der ersten Menarche) möglich?

  • Transposition der Ovarien
  • Kryokonservierung von Eierstockgewebe
  • Kryokonservierung von Eizellen, die zuvor durch eine Hormonstimulation gewonnen wurden
  • die medikamentöse Gabe von sogenannten Gonadotropin-Releasing-Hormon-Agonisten (GnRHa), die in der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) die Produktion der follikelstimulierenden sowie luteinisierenden Hormone (FSH/LH) unterdrücken, was zu einer „Ruhigstellung" der Eierstockfunktionen führt. Sie verringern außerdem die Durchblutung der Gebärmutter und der Eierstöcke, was zu einem möglichen Schutz vor den Chemotherapeutika in den Zellen führt. Dieses Verfahren findet jedoch immer Anwendung in Kombination mit der Kryokonservierung von Eierstockgewebe oder Eizellen.

Fertilitätserhalt bei Jungen

Männliche Keimzellen (Spermatozoen) können ebenso wie Eizellen durch Chemotherapeutika oder eine Bestrahlungstherapie geschädigt werden. Alle medikamentösen Ansätze, die Keimzellen in den Hoden medikamentös vor zytotoxischen Substanzen schützen sollen, sind bisher bei Jungen und männlichen Erwachsenen gescheitert. Die beste Option ist die Kryokonservierung ejakulierter Spermien, die aber erst infrage kommt, wenn die Jungen nach der Spermarche ein Ejakulat produzieren können (Sänger N et al., Dtsch Arztebl 2018). Finden sich im Ejakulat keine Spermien, können diese mittels einer Hodenbiopsie (testikulärer Spermienextraktion TESE) gewonnen und ebenfalls anschließend kryokonserviert werden.

Welche Methoden sind bei Jungen vor der Pubertät möglich?

Da Jungen vor der Pubertät noch keine ausgereiften Spermien haben bzw. diese ejakulieren können, ist eine Kryokonservierung von Spermien nicht möglich. Um diesen Kindern dennoch künftig die Chancen zum Fertilitätserhalt offenzuhalten, können Stammzellen aus den Hoden im Gewebeverband mittels einer Hodenbiopsie extrahiert und dann kryokonserviert werden. Dieses Vorgehen ist zwar im Moment noch ein rein experimentelles Verfahren, bei dem jedoch absehbar ist, dass in 15–20 Jahren, dann wenn Spermien zur Erfüllung eines Kinderwunsches notwendig sind, eine Spermiogenese daraus möglich sein wird und somit den betroffenen krebskranken Kindern später reproduktionsmedizinisch geholfen werden kann. Dieser Ansatz verhält sich im Allgemeinen ähnlich zur Rückübertragung von Eierstockgewebe. Das Hodengewebe soll transplantiert werden, so dass die darin befindlichen Stammzellen ortsständig aktiv werden können und das endokrine Milieu die Spermatogenese stimuliert. Auch hier gilt natürlich die Voraussetzung, dass eine gleichzeitige Transplantation von malignen Zellen (Gefahr der Metastasierung, Rezidivbildung) ausgeschlossen werden muss. Als weiterer Ansatz ist in der Zukunft denkbar, dass eine direkte Injektion von isolierten spermatogonialen Stammzellen in das verbliebene Keimgewebe der Hoden vorgenommen wird, wofür eine vorausgegangene sehr anspruchsvolle In-vitro-Kultivierung von Stammzellen notwendig ist.

Welche Methoden sind bei Jungen während der Pubertät (nach der Spermarche) möglich?

Das Einfrieren von Spermien, welche durch Ejakulation, Elektrostimulation oder durch eine operative Entnahme aus dem Hoden gewonnen und anschließend beliebig lange tiefgefroren gelagert werden.

Haben Sie weitere Fragen oder wünschen Sie für Ihr Kind eine individuelle Beratung, dann kontaktieren Sie uns bitte hier.


Ausführliche Informationsbroschüre für Eltern und Kinder

"Heute für Morgen - Zeitreise". Nutzen Sie die Chance als Eltern, sich heute mit dem Morgen Ihrer Kinder auseinander zu setzen. Den Link zum Download für die Broschüre finden Sie hier, bereitgestellt vom FertiPROTEKT Netzwerk e.V. unter www.fertiprotekt.com.

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